Kleiner Schritt, grosser Sprung
Bei Yayladagi überschreite ich die Grenze von Syrien in die Türkei. Eine idyllische Landstrasse inmitten üppiger Vegetation verbindet die beiden Länder über wenige Kilometer. Die Natur lässt sich Zeit und wechselt ihr Gewand im neuen Land nur langsam. Auch die Gesichter, Hautfarben, Schnauzlängen sowie Gestik und Mimik der Menschen kennen keine Hast sich von der überschrittenen Grenze etwas anmerken zu lassen. Und doch offenbaren sich die politischen sowie kulturellen Unterschiede unangekündet und schonungslos: Die sauber gepflasterten Strassen, die ordentlich gereihten Dachziegel, die gebügelten Karohemden anstelle der luftigen Ganzkörper-Gallabijas, der abendländische Kalender mit samstagsonntäglichen Wochenenden. Die Trademarks auf den Werbetafeln, die Mehrzahl an unverhüllten Frauengesichtern, die lateinischen Lettern anstelle der unleserlich arabischen, und die langweilig-komfortablen Transportbusse ohne jegliche Personalien des Chauffeurs. Die Grenze ein kleiner Schritt für mich, ein grosser jedoch für den Reisenden. Zwei Systeme, die wenig gemeinsam haben, prallen innerhalb nur weniger Meter aufeinander. Kaum in der Türkei angekommen, fühle ich mich auf einen Schlag um Riesenschritte näher an Europa.
( Yayladagi, 18.08.07 )
Fremd im eigenen Land
Auf der Bootsüberfahrt auf dem Attatürk-Staudamm lerne ich Fehime kennen, eine 26 jährige Istanbulesin, die im kurdischen Siverek eine Stelle als Lehrerin gefunden hat. Dem Siverek, in welchem ein sehr feminin anmutendes, pastellviolettes Tuch die Häupter der Männer schmückt. In Verbindung mit dem «Salvar» Baggypants ähnlichen Hosen, deren tiefster Zipfel im Schritt mindestens bis zur Kniekehle reicht gibt das ein herrliches Bild ab. Das kurdische Gebiet gefällt Fehime besser als ihre Heimatstätte im Westen des Landes : «Hier kennt man seine Nachbarn noch und kümmert sich umeinander». Ihrem Vater müsse sie sowas aber nicht erzählen, für ihn seien noch immer alle Kurden Verbrecher. Fehime erzählt von ihrem Englischstudium und dem damaligen Wunsch ein Semester davon im Ausland zu verbringen. Die Möglichkeit war gegeben, jedoch hätte sie dafür ihr Kopftuch ablegen müssen. «Unsere Regierung erachtet nur Frauen ohne Kopftuch als legitime Repräsentation der Türkei im Ausland». Sie wollte sich und ihren Glauben nicht verleugnen und entschied sich gegen das Erasmus-Halbjahr. Religiöser Fundamentalismus bekämpft durch säkularen Fanatismus. Ein kemalistischer Säkularismus, der ob seiner Obsession zur Trennung von Moschee und Staat glatt seine demokratischen Prinzipien vergisst. Ein relativ unfruchtbarer Nährboden für Völkerverständigung, Religions-und Meinungsfreiheit. Was hätte wohl der alte Erasmus von Rotterdam dazu gesagt?
( Siverek, 20.08.07 )
In den Abdankungshallen der Moderne
Die Banken bilden eine unglaubliche Parallelwelt zum Leben auf den Strassen, das sich vor deren Schaufenstern alltäglich ausbreitet. Mit ihren amerikanischen Kundenleitsystemen, den sterbenslangweiligen Inneneinrichtungen, die einer noch langweiligeren Corporate Identity folgen und den formellen, uninspirierten Unisex-Anzügen für Mann und Frau, könnte es sich auch um Abdankungshallen handeln. Auch die nach Reglement gelebte «Kundenfreundlichkeit» will so gar nicht mehr zum heiteren Treiben und der natürlichen Herzlichkeit von draussen passen. Hier hat die Zivilisation in ihrer beängstigendsten Form sämtliches Leben erstickt. Abgelöschte, affektierte Blicke streifen mein Äusseres : Jemand der dermassen schlecht angezogen und unrasiert ist, treibt sich normalerweise nicht in diesen edlen Hallen herum. Möchte ich auch nicht, doch ich muss einmal mehr versuchen, meine über weite Teile der Reise uneinlösbaren Checks einzutauschen. Ein junger Schnösel biedert sich mit seinen Englischkenntnissen und pseudoprofessionellem Businessgehabe bei mir an, in der gutgläubigen Annahme, dass dies auch meine Welt sei, die er soeben zu verkörpern sucht. Die gewechselten Worte blitzen an der Hochglanz-Perforation unserer «Geschäftsbeziehung» ab, als wäre sie gegen alles Natürliche und Menschliche gefeit. Wie viel lebensfreundlicher und inspirierender ist doch das Leben in den engen Gassen des Marktes, wo sich Männer noch mit voller Wucht auf die Schultern klopfen um sich ihre Freundschaft zu beweisen. Wie viel lieber war mir die Gesellschaft des chauvinistischen Kurden, der mich gestern Abend bei Köfte auf tiefen Holzhockern an einem Strassengrill zu sich hinüber bat und sich einen Abend lang um mich, den Fremden in seiner Stadt, gekümmert hat wie um einen Freund. Gemeinsames Essen, gemeinsame Çais und gemeinsame Zigaretten. Trotz keiner gemeinsamen Sprache, ausser derjenigen des Körpers, war unsere Unterhaltung ehrlicher, respektvoller und bereichernder als all die englischen Floskeln, die ich zuvor in gescheuerten Hallen gewechselt hatte.
( Diyarbakir, 22.08.07 )
Hasankeyf, die Grazie am Tigris
Hasankeyf, wie ist es möglich, dass ich zuvor noch nie von dir gehört habe ? Deine perfekte Szenerie auf dem rötlichen Felsen im langgezogenen Tigris-Tal müsste mir doch in teuren Hochglanzmagazinen oder edlen Fotobänden schon x-fach begegnet sein. Über tausende von Jahren, noch lange bevor der Prophet seine Lehren in ganz Arabien verbreitete, boten deine Felslöcher den Menschen Schutz vor der beissenden Hitze, der man in diesem Tal schonungslos ausgeliefert ist. Stundenlang verliere ich mich darin, deine mehrstöckigen Höhlen, zerfallenen Medresen, Überreste von Moscheen und Friedhöfen zu erkunden, die mit der bizarren Umgebung verschmelzen, als wären sie einst den Launen der Felsen entsprungen. Stundenlang lasse ich mich von deiner stillen Grösse bezaubern, entdecke in den Felsen immer neue Facetten deiner Geschichte, die unfassbar und berauschend zugleich ist. Sassaniden, Umayyaden, Abbasiden, Hamdaniden, Marwaniden, Ayyubiden, Mongolen und Kurden : Unzählige islamische Dynastien und Völker haben das Gesicht dieses Tals nachhaltig geprägt. Ein Gesicht, von der Sonne gegerbt, voller Furchen und Falten, aber mit dem stoischen Lächeln des Weisen, der niemandem mehr etwas zu beweisen braucht. Weshalb tauchen in den Tourismusprospekten immer nur deine kleinen Brüder und Schwestern in Kapadokya oder am Mittelmeer auf. Weshalb bist du kein UNESCO-Weltkulturerbe, wo doch soviel Kultur an dieses karge Stück Erde vererbt wurde, wie praktisch nirgends sonst auf der Welt ? Liegt es vielleicht daran, dass es dich bald nicht mehr gibt ? Daran, dass du und dein grüner Gürtel, der den braunen Tigris säumt, bald vom Ilisu-Staudamm für immer verschluckt wirst?
( Hasankeyf, 25.08.07 )
Die Schöne und das Biest
Mes instants superlatifs: Knackende Nusschalen, raschelnde Gebetsketten, Cafés die nur Schwarztee servieren. Die winzigen Holzhocker, welche abwechselnd das eine oder andere Bein einschlafen lassen. Das Zungenschnalzen in Kombination mit dem erhobenen Kinn als Geste des Verneinens. Die kurdische Begeisterung für die eigene Musik. Menschen die im Reisenden a priori einen Freund sehen und diesen am eigenen Leben teilhaben lassen sei es durch stolzes Präsentieren ihrer Taubenzucht, durch eine Einladung zu Shish Kebab und Airan oder einer spontanen Stadtführung zu später Stunde. Das kleine, geschwungene Teeglas zum Unterteilen des Tages in sinnvolle Einheiten auf 10 bis 12 Çays pro Tag kommt hier sicher jeder. Das erfrischende Zitronenwasser für Gesicht und Hände, das während der Busfahrten gereicht wird. Städte wie wertvolle Bijoux : 800 jährige, reich ornamentierte Medresen und kunstvoll behauene Minarette aus zig verschiedenen islamischen Epochen. Dazu 38° C bei Sonnenuntergang in privilegierter Lage, mit Blick in die Mesopotamische Hochebene, weit bis sie am Horizont erlöscht. Mes instants destructifs: Jugendliche Möchtegern-Machos, gefangen zwischen dem Reiz des Moderne, ihrem pubertärem Verlangen und traditionellen Verpflichtungen. Todesblicke von schwarzen Witwen, die in meinen baren weissen Unterschenkeln den Teufel sehen. Verbitterte Gesichter ab dem Fehlen von Möglichkeiten zur eigenen Entfaltung und Lebensgestaltung. Dümmliches, höhnisches Gelächter, weil es mir am Kebabstand nicht gelingen will meinen Wunsch in irgend einer verständlichen Form zu artikulieren. Geworfene Steine, die mich knapp verfehlen, als ich meine Kamera auspacken will.