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Wie lange muss es her sein


Die Metamorphose des Weges am eigenen Leib erfahren sei es anhand der sich wandelnden Gesichtszüge der Menschen, über die Gerüche auf den Märkten oder die Farben des Sandes. Keinen Augenblick davon will ich überfliegen. Keinen Meter meiner Reise will ich als Mittel zum Zweck verschwenden. Schliesslich zehre ich die nächsten Monate vom grössten Reichtum, den ich mir vorstellen kann : Ich habe Zeit. Knappe zweieinhalb Stunden Fähre trennen Europa von Afrika und doch kommt es mir vor, als hätten sich die beiden Kontinente niemals kennengelernt. Als ich bei Tanger an Land gehe, liegt Algeciras ( Spanien ) bereits eine gefühlte mehrtägige Flugreise weit entfernt. Der Souq, das pulsierende Herz jeder Orientstadt, ist laut, lebendig und farbig. Stolze Verkäufer, die vor glänzenden Früchten und leuchtenden Gewürzbergen wachen, als handle es sich um eigenhändig geschürftes Gold. Minutenlang wird über die vier Dirham ( 50 Rappen ) gestikuliert, die zwei prall gefüllte Taschen mit Gemüse kosten sollen. Ein Duft von Rosenblüten und Kardamom liegt in der heissen Luft. Die Drogerie, ein Sammelsurium an knorrigen Wurzeln und getrockneten Viechern. Beim Metzger Kamelköpfe und Kalbskadaver, die an ihren Fleischhaken seit Stunden an der prallen Sonne schwitzen. Die Hühner leblos und dahin vegetierend, dass man sie selbst hart durchgekocht nicht mehr serviert bekommen möchte. Wo sonst liegen Himmel und Hölle so nah beieinander ? Kaum bricht die Dunkelheit herein, promeniert die Seele Marokkos auf den Boulevards vor den rappelvollen Cafés im Licht von russgeschwärzten Terpentinlampen. Die abendliche Nargileh und ein Glas erfrischender Minzetee, der letzte Ruf des Muezzins, farbige Kopftücher über mandelbrauner Haut, der Duft von süssem Haschisch wie lange muss es her sein, seit ich Europa den Rücken gekehrt habe ?

( Tanger, 14.05.07 )

 

Die Kasbah


Kurz nach Marrakech sah ich meine erste, kurz vor Er-Rachidia die letzte und dazwischen sicher zwei Dutzend : Kasbahs - Meisterwerke der Berberarchitektur. Paläste gebaut aus nichts ausser Lehm, Heu und Palmstämmen. Ganze Dörfer wie aus einem Guss, als hätte ein grosser Schöpfer seine Sandförmchen mit Erde gefüllt und mit einem Schlag Lebensraum für hunderte von Menschen auf den Boden geklopft. Darunter zerbrochene, wie kleine nahe am Meer aufgebaute Sandburgen von Wasser und Wind angefressen. Aber auch makellose, als seien sie einer wilden Fantasie aus «Tausend und einer Nacht» entsprungen. Für viele Städter Marokkos sind die Berber die Ureinwohner dieses Sandmeers auch weiterhin nur Hinterwäldler. Doch wie armselig wirken ihre Zweckbauten im Vergleich zu den Wüstenschlössern, ihre zweischössigen Backsteinklötze, mit einem schäbigen Verputz und herausragenden Armierungseisen. Die Kasbah hingegen ist eine Gesamtkomposition, eingebettet in einen blauem Himmel und ausgebleichte Pastelltöne der umliegenden Wüste. Dazwischen dattelgrüne Oasen als lebensspendende Farbtupfer. Wenn ein solches Schloss nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten zerfällt, gibt es der Natur zurück was es ihr einst genommen hat : Lehm, Heu und Palmstämme. Die zerfallende Ruine dient dann den Kindern als Spielplatz, solange bis die Kasbah vom umliegenden Sandmeer wieder vollends verschluckt worden ist. Das Akzeptieren der Vergänglichkeit ist eine maghrebinische Tugend, die in diesen Tälern bis heute in den Kashbahs verkörpert ist. Eine Tugend, die einhergeht mit einer wunderbaren Entschleunigung des Lebens.

( Er-Rachidia, 26.05.07 )

 

Kairo - die wandelnde Leiche


Ich glaube ich konnte erst heute, nach meinem fünften Tag im Moloch, halbwegs greifen, wie gross Kairo ist oder besser : wie gross Kairo sein könnte. Eine halbe Stunde Busfahrt, ohne ein Gefühl das Zentrum je verlassen zu haben. Danach weitere 30 Minuten Taxifahrt zu einem von drei zentralen Busterminals. Noch mehr dicht gedrängte, vom Verkehr eingeschwärzte Halbhochhäuser, schleichender Verkehr und ein Geräuschmeer aus tausenden von Hupen. Zwischendurch ein dunkelblauer Streifen Nil, der sich wie Weite anfühlt. Und noch immer bin ich mittendrin. Die Metropole wirkt wie eine wandelnde Leiche, stets kurz davor endgültig zusammenzubrechen. Millionen von Menschen saugen Kairo wie Parasiten aus, und erfüllen die Stadt durch ihr wildes Treiben mit Leben. Kurz vor Mitternacht, wenn die Temperaturen endlich zum Bummeln einladen, steigt der Stadtpuls auf seine Höchstfrequenz : Die Geschäfte füllen sich, der Verkehr kommt vor lauter Chaos zum Stillstand, die glimmenden Holzkohlen dutzender Wasserpfeifen erhellen die Dunkelheit und der Arbeiter gönnt sich in einer von lauter Stimmen vibrierenden Seitengasse ein «Kushari» ( Nudelgericht mit Tomaten, Zwiebeln und Bohnen ). Was muss in diesem Ungetüm von einer Stadt alles verborgen liegen ? Wie viele unterschiedliche Gesichter lassen sich wohl darin entdecken ? Ein Versuch die Stadt nach fünf Tagen irgendwie objektiv abbilden zu wollen muss zwangsläufig scheitern. Später in einer Bar, deren Name auf meiner Reise verloren ging : Dicke, abgewetzte Vorhänge verschleiern das Geschehen im Innern. Alles duftet nach Verwesung die Menschen, die Inneneinrichtung und selbst die Fava-Bohnen, die zum lokalen Bier oder selbstgebrannten Brandy gereicht werden. Wer hier hin kommt darf sich draussen eigentlich nicht mehr Blicken lassen. Nicht wie in den 30 er-und 40 er-Jahren, als auch in Kairo getanzt, getrunken und gefeiert wurde. Als Intellektuelle bei Rotwein ihre Visionen eines freien und demokratischen Ägypten zeichneten und ob der lebendigen Debatten die Stunden vergassen. Auch die Gebäude auf der Strasse erzählen noch von dieser Zeit. Italienische, Französische und Holländische Architekten brachten Renaissance, Art Déco und die Moderne. Der Midan Talaat Harb, ein weiter Kreisel im Herzen der Downtown, könnte auch in Paris liegen vorausgesetzt man denkt sich die weissen Gallabijas der Männer, das verreckte Taxi, welches mitten im befahrenen Kreisel repariert wird und die Besenkammer-grossen Teestuben mit ihren Shishas weg. Heute wirkt diese «Grandeur» nur noch aufgesetzt. Wie ein Mantel der nicht mehr passt, der nie wirklich vollständig passte und trotzdem zu jeder Zeit besser war, als die neue, einengende Kutte.

( Kairo, 06.06.07 )

 

Stars & Sternchen im Niemandsland


Die moderne Welt des gelobten Westens Jahrgang 2007 hat auch im arabischen Moloch Einzug gehalten : Auf den lokalen Musikkanälen Kairos tanzen dieselben Puppen wie bei uns auf VIVA oder MTV, ein bisschen weniger freizügig, aber mit derselben Schminke und in denselben Kameraeinstellungen. Die übergrossen Werbetafeln sind in Englisch beschrieben und zeigen helle, abendländische Gesichter. Wen wollen sie ansprechen ? Der Grossteil der Menschen um mich herum versteht die Message nicht einmal, geschweige denn hätten sie das Geld um sich mit teuren Pflegeprodukten in einen «jung-dynamischen» Lifestyle einkaufen zu können. Es gibt aber wohl diesen 1 %-Anteil in Kairos Bevölkerung, das wären immerhin noch 110 000 potentielle Kunden der das nötige Kleingeld dafür aufbringt und für welchen diese ganze Kulisse aufgezogen wird. Einige Tage später, in der Bahariya Oase, umgeben vom unendlichen Sandmeer der weissen und schwarzen Wüste. Am Abend sitze ich im Hotel zu den Jungs, die ich am Vorabend kennengelernt hatte. Sie schauen sich im Fernsehen eine Reportage zu den Filmfestspielen in Cannes an. Eine Welt aus Stars und Sternchen, die selbst mir enorm fremd erscheint. Wie muss es aber wohl meinen ägyptischen Kollegen gehen ? Welche Bilder des gelobten Westens formen sich in ihrem Inneren ? Glauben sie deshalb, dass im Westen nur Ruhm und Reichtum auf sie wartet und die abendländischen Touristinnen leichte Beute sind ? Welcher «Clash of civilizations» spielt sich da soeben vor meinen Augen ab. Welches enorme Potential der Massenmedien Begierden zu wecken und Vorurteile zu verankern.

( Kairo, 08.06.07 / Bahariya Oasis 13.06.07 )

 

Wenn die schwarzen Wolken aufziehen


Er hat versucht fröhliche Songs zu schreiben, doch jedes Mal wenn er die Gitarre auspackt, übermannt ihn die Trauer. Mit Inbrunst haucht Achmed sehnsüchtige Zeilen in das nur wenige Meter von uns entfernte Meer. Das rote Meer, das heute auch das tote sein könnte. Achmeds Vater ist vor zwei Jahren gestorben, seither ging in seinem Leben einiges schief. Sein älterer Bruder ist vor kurzem den Drogen verfallen, Achmed musste ihn deshalb aus seiner Wohnung in Kairo werfen. Aus blinder Rache tauchte der Bruder später beim Vater von Achmeds Freundin auf. Seit der Primarschule waren die beiden ein Paar, erst kürzlich hatten sie begonnen erste Heiratspläne zu schmieden. Der Bruder zog im Haus von Achmeds Freundin eine bühnenreife Show ab und lieferte selbst den besten Beweis dafür, wie verlumpt seine Familie ist und damit natürlich auch sein jüngerer Bruder. Von diesem Tag an durfte Achmed seine Freundin nicht mehr sehen. Tagelang sitzt er nun in der von Palmwedeln überdachten Strandhütte, nur einige Schritte vom Meer entfernt. Er komponiert neue Songs, lässt sich von seinem Elend einlullen und bestellt im Halbstundentak t einen neuen Çai aus dem Restaurant. Spät abends, wenn die Erinnerungen wie schwarze Wol-ken am leuchtenden Sternenhimmel aufziehen, gönnt er sich ein kleines Stück Opium, das er sich fachmännisch unter die Zunge legt, genau wie der alte Saki Bey im ägyptischen Romanerfolg «Der Jakubijân-Bau». Achmed studiert Informatik an der riesigen Cairo University. Er kommt aus einer privilegierten Familie, die ihr Geld in Dubai gemacht hat -wie tausende anderer Ägypter auch, die vor der heimischen Hoffnungslosigkeit und dem Willkürstaat geflüchtet sind. Nach dem Studium will auch Achmed nach Dubai. Er ist gebildet und smart, für einen wie ihn bietet Ägypten keine Perspektiven. Nur das Studium hält ihn hier noch zurück, und selbst dieser letzte Faden zu seiner Heimat ist schwach geworden. Die Informatik ist nicht mehr seine Welt. Er möchte einmal als Filmproduzent arbeiten, dafür notfalls nochmals studieren. Aus Achmeds Mund klingt das nicht wie Jugendträumerei, dafür hat ihm das Leben schon zu viele Illusionen geraubt. Vielmehr ist es der verzweifelte Ruf eines sensiblen Geistes, der vor lauter Konventionen und sozialem Druck bislang noch keinen Ausdruck gefunden hat, ausser in traurigen Songs, hier am «Soft Beach» in Nuweiba, Ägypten.

( Nuweiba, 28.06.07 )

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